Agiler Mindset im Vertrieb

Last Updated on 09/09/2025 by mickschindler67@gmail.com

Wenn wir über Agilität im Vertrieb sprechen, dann geht es häufig schnell um Prozesse, Tools und Methoden. Doch was dabei oft übersehen wird: Ohne den richtigen Mindset, also die innere Haltung, wird all das nicht funktionieren. Der agile Mindset ist nicht die Kür, sondern die Voraussetzung – für nachhaltige Veränderung, für echte Anpassungsfähigkeit und für sinnvolle Zusammenarbeit in einem komplexen, dynamischen Marktumfeld.

Ein agiler Mindset zeigt sich nicht in Post-its oder agilen Buzzwords, sondern im Verhalten: Wie offen sprechen Teams über Fehlschläge? Wie konsequent wird Kundenfeedback in die Vertriebsstrategie integriert? Wie flexibel reagieren wir, wenn sich die Relevanz von Zielkunden oder Märkten plötzlich verschiebt? Und: Wie mutig hinterfragen wir eigene Annahmen – auch dann, wenn der Forecast scheinbar passt?

Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn viele Situationen erlebt, in denen sich Unternehmen schwer taten, sich von der vermeintlichen Sicherheit klassischer Planungsmodelle zu lösen. Gerade im Vertrieb wird häufig an Jahreszielen, Forecasts und linearen Sales-Funnels festgehalten – als gäbe es keine externen Einflüsse, die all das jederzeit auf den Kopf stellen können.

Natürlich ist es verständlich, dass Geschäftsführungen und Führungskräfte auf planbare Zahlen setzen. Planung gibt Sicherheit. Sie schafft Orientierung. Sie vermittelt Kontrolle. Doch diese Kontrolle ist oft nur scheinbar, denn sie basiert auf Annahmen, die in einer komplexen, sich ständig wandelnden Realität zunehmend instabil sind.

Besonders problematisch wird es, wenn die Kostenplanung mit der Umsatz- und Ergebnisplanung gekoppelt ist. Insbesondere dann, wenn die Ergebnisplanung auf einem Best-Case-Szenario beruht. Sollten dann durch unvorhergesehene Ereignisse die Umsätze und Ergebnisse von der Planung nach unten abweichen, wird der Druck im System, insbesondere auf der Vertrieb, extrem hoch.

Genau hier setzt der agile Mindset an. Er beruht auf der Einsicht, dass Veränderung kein Ausnahmezustand ist, sondern die Regel. Dass Planung sinnvoll ist – aber eben als Hypothese, nicht als Versprechen. Und dass wir – gerade im Vertrieb – lernen müssen, mit dieser Unsicherheit konstruktiv umzugehen.

Das bedeutet nicht, Planlosigkeit zu akzeptieren. Im Gegenteil. Agilität braucht Orientierung – aber mit der Bereitschaft, den Weg dorthin iterativ zu gestalten. Es geht um die Fähigkeit, Ziele nicht starr zu verfolgen, sondern situationsgerecht zu adaptieren. In der Praxis heißt das zum Beispiel: einen wöchentlichen Forecast nicht als Kontrollinstrument, sondern als Feedbackquelle zu nutzen. Oder Deal-Pipelines wie ein Product Backlog zu behandeln – priorisiert, flexibel, kundenzentriert.

Wichtig ist dabei: Agilität kann nicht isoliert funktionieren.
Es reicht nicht, wenn ein engagiertes Vertriebsteam sich auf agile Prinzipien einlässt, während angrenzende Bereiche wie Marketing, Produktentwicklung oder Controlling nach wie vor im Wasserfall-Modus arbeiten. Agilität muss systemisch verstanden werden – als organisationsübergreifende Denkweise.

Das bedeutet auch, bestehende Strukturen zu hinterfragen: Silos, in denen Abteilungen aneinander vorbei optimieren. KPI-Systeme, die Einzel-Erfolg belohnen, aber Zusammenarbeit behindern. Incentive-Modelle, die kurzfristiges Closing über langfristigen Kundennutzen stellen. Ein erster Schritt kann sein, ein gemeinsames Zielsystem für Vertrieb, Marketing und Produkt zu schaffen – etwa in Form von OKRs oder gemeinsamen Retrospektiven.

Vor allem aber braucht es Rückhalt von oben. Ohne eine Geschäftsführung, die den Mut hat, Unsicherheit zuzulassen und Vertrauen in iterative Prozesse zu setzen, bleibt jede agile Initiative im Vertrieb Stückwerk. Führung bedeutet dann nicht Kontrollverlust – sondern ein anderes Verständnis von Steuerung: über Klarheit im Ziel, sinnvolle Rahmenbedingungen und konsequente Feedbackschleifen.

Meiner Erfahrung nach liegt genau hier der entscheidende Knackpunkt: Viele Unternehmenslenker tun sich schwer damit, ein System zu akzeptieren, in dem man bewusst nicht alles vorhersagen kann. Bei dem man zu Jahresbeginn nicht sicher weiß, was am Ende des Jahres erreicht wird. Und doch ist genau dieses Loslassen notwendig, wenn man die Vorteile agiler Arbeitsweisen wirklich nutzen will.

Führungskräfte müssen dabei nicht weniger führen – aber anders. Sie geben Richtung, klären Erwartungen und schaffen Raum für Entscheidungen dort, wo das Wissen sitzt: bei den Teams. Sie fördern Transparenz, statt nur Reports einzufordern. Und sie verstehen Forecast-Abweichungen nicht als Kontrollverlust, sondern als Chance zum Lernen.

Darum halte ich es für essenziell, bevor über Sprints, Retrospektiven oder agile Tools gesprochen wird, zunächst ein gemeinsames Verständnis zu schaffen:

  • Warum braucht es Agilität im Vertrieb?

  • Welche konkreten Probleme sollen dadurch gelöst werden?

  • Welche neue Haltung ist erforderlich – und was bedeutet das für Führung, Kommunikation und Zusammenarbeit?

Mitarbeitende müssen wissen, worum es geht – und warum. Agilität kann nicht verordnet werden. Sie muss sinnvoll erklärt, gemeinsam entwickelt und in der täglichen Praxis erfahrbar gemacht werden. Erst dann kann man beginnen, agile Prozesse und Strukturen im Unternehmen zu etablieren – etwa in Form von zweiwöchigen Vertriebs-Sprints, adaptiven Backlogs oder kontinuierlichen Kundenfeedback-Loops.


🔜 Wie geht es weiter?

Im nächsten Artikel der Serie geht es darum, was Begriffe wie Sprint, Backlog oder Retrospektive im Vertriebsalltag konkret bedeuten – und wie wir die agile Sprache sinnvoll in vertriebliche Realität übersetzen können.

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